Buchempfehlung

Das kann uns keiner nehmen – Matthias Polityckis

“Es gibt immer einen Grund, traurig zu sein. Damit gibt es immer einen Grund, lustig zu sein.”

Der 1955 in Karlsruhe geborene Autor Matthias Polityckis nimmt uns in seinem neuesten Roman “Das kann uns keiner nehmen” (HoCa) mit auf das Dach Afrikas.
Sonst für seine ausschweifenden Erzählmomente bekannt, prägen in diesem Roman kurze Abschnitte und knappe Sätze seinen ganz eigenen Schreibstil. Hans will oben auf dem Kilimandscharo in einem Krater übernachten, um nach 25 Jahren endlich seine offene Rechnung mit Afrika zu begleichen. Doch im Krater wartet schon Tscharli, ein von AIDS gezeichneter Bayer, der Hansi zu seinem Begleiter in den Tod werden lässt.
Durchaus humorvoll und leicht beginnend, überwiegt zum Ende des Werkes hin die Ernsthaftigkeit. Schmunzeln und Lachen wechseln sich ab mit Rührung und Erstaunen vor der wunderschön bildhaft beschriebenen Szenerie Afrikas. Nicht aufgeben, sondern das beste aus dem eigenen Schicksal machen – das ist die unaufdringliche Botschaft Matthias Polityckis.
Absolut empfehlenswert.

Jugendroman – Gerhard Henschel

“Könnte mir vielleicht man endlich jemand erklären, wozu die scharfe Schwammseite gut war?”

Mit seinem “Jugendroman” (2009 erschienen, hier die 1. Auflage im @atlantikverlag ) führt Gerhard Henschel seine weitestgehend autobiografische Familienchronik fort. Vorgänger dieses Werkes ist der “Kindheitsroman”.

Das Leben in den sechziger und siebziger Jahren mutet spießig und langweilig an. Mit klaren Worten eines pubertierenden Jungen setzt Gerhard Henschel Akzente, mit denen sein Hang zur genauen Darstellung wieder einmal deutlich wird. Dabei bleibt er sprachlich eng in der Lebenswelt eines pubertierenden Jugendlichen der damaligen Zeit und eignet sich dementsprechend gut für Leser, die gerne in Erinnerungen an die eigene Jugend in den sechziger und siebziger Jahren schwelgen.

Martin Schlossers Geschichte setzt sich fort in den Romanen “Liebesroman”, “Abenteuerroman” und weiteren mehr.

Helle und die kalte Hand – Der zweite Fall für Kommissarin Jespers – Judith Arendt

Helle Jespers seltene Momente der Ruhe währen nur kurz, denn als Leiterin der örtlichen Polizeistation wird sie in die Nähe der beliebten Wanderdüne Rabjerg Mile gerufen, unter deren sandigen Klauen die Leiche einer jungen Frau aus dem südostasiatischen Raum gefunden wurde.
Niemand scheint diese Frau zu vermissen, die sich anscheinend illegal in Dänemark aufhielt. Und während der Herbst die Wärme des Sommers vertreibt, stößt Helle Jespers während ihrer Ermittlungen auf die Schattenseiten der scheinbar so offenen dänischen Gesellschaft.

@juditharendt schuf mit dem zweiten Fall für Helle Jespers einen komplexen und sprachlich überzeugenden Kriminalfall, der überaus realistisch und aktuell ist. Arbeitssklaven aus Drittweltländern, die von skrupellosen Schleusern ins Land geschmuggelt und in diesem Fall als Reinigungskräfte ausgebeutet werden gehören zur europäischen Realität. Hier zeigt die sympatische Protagonistin Haltung.

Auch sonst sind die Figuren sehr ausdifferenziert charakterisiert und bedienen mal nicht das Klischee eines ausgebrannten Polizeiteams.
Spannend war nicht nur die Ermittlung, auch das Ende lässt doch noch die ein oder andere Frage offen und es bleibt mit viel Vorfreude abzuwarten, ob Judith Arendt, deren Schreibstil wunderbar zu lesen ist, die losen Enden in einem weiteren Band wieder aufgreift.

Am Boden des Himmels – Joana Osmans

“Alles was wir sehen oder zu sein scheinen ist nur ein Traum in einem Traum.” (Edgar A. Poe in ‘Am Boden des Himmels ‘)

Malek Sabateen, ein neunzehnjähriger Palästinenser, besitzt eine besondere Fähigkeit: Er lässt die Menschen in seiner Umgebung für einen Moment durch die Augen des Anderen, des Feindes, sehen. In Israel, dem Heiligen Land, ist das jedoch gleichsam Wunder wie Bedrohung. Denn während die Einen in ihm einen Engel sehen, schürt er bei den Anderen Panik und Hass. Als Malek schließlich verhaftet wird, braucht es den Mut der palästinensischen Journalistin Layla, des ausgefuchsten kleinen Omar und des bis über beide Ohren verliebten israelischen Lior, ihm zu helfen. (In Anlehnung an den Klappentext)

Die palästinensische Journalistin Layla wird nach Jerusalem gerufen, um über ein vermeintliches Wunder zu berichten: Ein Engel ward gesehen. Und auch wenn Layla den Glauben an Engel lange schon verloren hat, wird sie in eine turbulente Geschichte zur Rettung eben jenes Engels hineingezogen. Denn dieser landet gleich zu Beginn der Geschichte im Knast. Und braucht dringend Hilfe.

Joana Osmans Schreibstil ist sanft, fast schon zurückhaltend. Und doch berühren die von ihr beschriebenen Bilder das Herz. Die auf den ersten Blick lang erscheinenden Kapitel sind durch Perspektivwechsel unterbrochen und im Erzählverlauf gut aufeinander abgestimmt.

Besonders schön sind die eingängigen Zitate zu beginn jedes der fünf Kapitel:

“We ‘re one, but we’re not the same
We’ve got to carry each other
Carry each other
One”

(Johnny Cash, “One” – Kapitel 5: Erwachen)

Ohnehin mangelt es dem Buch nicht an zukünftigen #lieblingszitaten: “Auf der Erde hat der Engel wenig, wofür es sich zu existieren lohnt, und er sehnt sich nach der Luft, die sich über ihn spannt wie ein Betttuch aus feinster blauer Seide.” (Seite 48)

Joana Osmans Debütroman erzählt von Wundern, Glaube und einem Engel. Sie verlässt behutsam ausgetretene Pfade und schafft eine Geschichte voller Hoffnung.
Eine besondere Empfehlung. [Rezensionsexemplar aus dem @atlantikverlag
@hoffmannundcampeverlag ]

Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen – Michaela Karls

Wenn ich mit einem Menschen neben der gleichen Vorliebe für Lippenstifte auch die für Protagonistinnen wie Anna Karenina und Madame Bovary teile, dann geht mir das sehr nahe – zumal mir Anna und Emma durch eine sehr schwierige Lebensphase geholfen haben.

Betrachte ich nun Maeves bewegtes Leben, könnte ich mir vorstellen, dass es ihr ebenso ging.
Maeve ist Kulturanthropologin mit einem feinen Gespür für die Geschichte neben der Geschichte. So zeichnen ihre Texte für die Zeitung New Yorker ein fast schon intimes Bild der Stadt und ihrer Bewohner, die Maeve meist aus dem Inneren eines Cafés oder Restaurants beobachtet. Und genau auf diese Weise lehrt sie uns Demut vor dem Leben anderer.

Michaela Karls Schreibstil ist auch wie bei der Biografie über Dorothy Parker durch eine Liebe zum Detail gekennzeichnet. Lebhafte Bilder wecken die Sehnsucht nach einem Spaziergang durch New York.
Dieses schöne Exemplar erworben in der #lieblingsbuchhandlung @buchhandlungbelling und aus dem Hause @hoffmannundcampeverlag

Was das Leben kostet – Deborah Levy

Wie ihr ja bereits wisst, bin ich ein absoluter Fan der Werke aus dem Hause @hoffmannundcampeverlag . Und auch dieses Buch hat mich sofort in seinen Bann gezogen.

„Ich kannte viele moderne, fraglos starke Frauen, die für alle ein Heim geschaffen hatten und sich selbst dann dort nicht zu Hause fühlten. Sie zogen das Büro, jedenfalls ihren Arbeitsplatz vor, weil ihnen die Berufstätigkeit einen höheren Status eintrug als das Hausfrauendasein.“ Deborah Levy jedoch trifft das plötzliche Ende ihrer Ehe hart und lässt sie zurück mit der Frage: Was heißt es, frei zu sein – als Künstlerin, als Frau, als Mutter oder Tochter? Und was ist der Preis dieser Freiheit?

Die von manch anderen Rezensentinnen als verhallend betitelten feministischen Töne trafen mich bisweilen mitten ins Herz. Wohl auch deshalb, weil ich mich in der ein oder anderen Passage wiederfand. Wie definiert man sich selbst als Frau, Mutter und Künstlerin, wenn das gesellschaftliche Konstrukt ‘Ehe’ nicht mehr taugt, wenn die ‘Ehe vorbei’ ist?

Mit einer Liebe zur Geschichte in der Geschichte gewährt Deborah Levy kurze Eindrücke in die vielen Facetten und Begegnungen, die das neue Leben dann bietet. Zart gesponnene Worte verweben sich zu ausdrucksstarken Sätzen und Seiten voller Weisheiten und Denkanstößen. „Das Leben lohnt nur, weil wir hoffen, dass es besser wird und wir alle gut heimkommen.“

Zu diesen nüchternen Betrachtungen gesellen sich jedoch auch ausdrucksstarke Worte wie dieses #lieblingszitat : „Ohne Liebe zu leben ist vergeudete Zeit.“ Mein Weg. Für Magie und Liebe.

Es ist Sarah – Pauline Delabroy-Allard

“Sie geht ein Stück vor mir in jener Märznacht, auf dem Boulevard du Montparnasse. Sie wirkt weniger betrunken als ich. Sie ist lebendig. Sie sieht nicht, dass ich mich bemühe, in ihren Spuren zu laufen, dass ich benebelt bin, dass das Pflaster ein wenig schwankt. Sie dreht sich plötzlich um, sehr schnell, und legt ihre Lippen auf meine.”
Pauline Delabroy-Allards Debutroman besticht durch sein sprachliches Tosen, dass den Leser mit fliegenden Sätzen, kurzen Kapiteln und Kommata in seinen Bann zieht. Die eigene Atmung stockt, während man der Entwicklung,  den schnellen Sätzen hinterhereilt.
Immer einen Schritt hinter der Geschichte des Liebespaares Sarah und der Erzählerin,  einer jungen Lehrerin. Rasant ist die Geschichte, emotional berührend und oft schmerzhaft. Denn gleich zu Beginn erfahren wir von Sarahs Krankheit. Als die Erzählerin von eben dieser erfährt,  zieht sie sich zurück,  zu groß ist der Schmerz. Doch die Krankheit schreitet voran und das Schicksal nimmt seinen Lauf. ‘Es ist Sarah’ macht in der Tat atemlos. Leser*innen mit viel Freude an dem rasanten Sprachstil vergleichbar mit Kjersti A. Skomsvold (‘Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone’) und Fernanda Melchor (‘Saison der Wirbelstürme’).
Pauline Delabroy-Allard gehört zu einer neuen Generation von Autor*innen.